Nachwort

Wie fromm sollte man sein?

„Die Ewigkeit eilt heran und mit ihr der große Feuertag,
der alles an und in uns probieren wird
samt unserem Wirken und Tun.“


Wahrscheinlich können viele mit solchen „nicht mehr zeitgemäßen“ Worten einer Glaubensäußerung ebenso wenig anfangen wie ich und wahrscheinlich gilt dies auch für manch andere Passage aus Kolbs Reden und Büchern.

Zugleich findet man bei ihm jedoch auch Texte wie: „Sie sehen sich selbst in ihren frommen Übungen . .“ und „man unterlasse diese fromme Wortklauberei“. Es waren genau diese für einen Tiefgläubigen seiner Zeit unüblichen Bemerkungen, die mich auf Kolb, sein Wirken und sein Denken aufmerksam werden ließen.

An anderer Stelle wird er sogar noch deutlicher, indem er es auf seine humorvolle Art als „Torheit“ bezeichnet, wenn ihm manche Gläubige den Eindruck vermitteln, dass sie „fromm husten“ und „sich fromm schneutzen“ wollen.

Wenn er sich durch seine Umgebung und durch seine Glaubensbrüder zur Äußerung solcher Gedanken veranlasst sah, dann wird deutlich, daß es ihm nicht nur um den Glauben an sich ging, sondern vor allem um die tatsächlich gelebte Qualität dieses Glaubens. So machte er den von ihm verbreiteten Glauben nicht gemäß einer starren Lehrmeinung zum Zentrum seines Lebens, sondern aus purer eigener Einsicht und Erkenntnis heraus und aus einer ständig neu erfahrenen, ebenso erlebten wie gelebten Begegnung mit Gott mitten in seinem ganz konkreten und in Gänze angenommenen eigenen Leben.

Durch Infragestellung zur Weisheit

Dabei spricht Kolb mehrfach die Bereitschaft aus, gerade seinen eigenen Glauben immer wieder prüfend in Frage zu stellen, indem er zum Beispiel bekundet:
„Wenn DU siehst, dass mein Christentum unlauter ist, … so zerstöre mir’s“.
Und auch wenn bei all solcher Hinterfragung sein Glaube an sich ohne jeden Zweifel bleibt, so gelingt es ihm auf diesem Weg, sich weder an feste „weltliche“ noch an feste „himmlische Bestände“ zu binden und zu verpflichten und er gelangt so zu einer besonderen, ihm ganz eigenen, fast zeitlosen Freiheit und Weisheit im Sehen und Denken – und das in genau der Art, wie er diesen seinen Glauben lebt und mit Geist und Sinn erfüllt. Denn er formt nicht eine Gläubigkeit zum einem ergänzenden Teil seines Lebens, sondern er verleiht seinem wirklich und wirkend gelebten Glauben genau dadurch wahrnehmbare Echtheit und Lebendigkeit, indem er sich selbst in diesen Glauben ständig neu sucht und betrachtet und sich auch ständig neu findet in ihm.

Suchen und Finden

So ist er auch heute noch in der Lage, uns durch sein Vorbild den Weg zu einem Glauben aufzuzeigen, der bei aller Ernsthaftigkeit und Tiefe weder in der Selbstzufriedenheit einer einmal erklärten Hingabe, noch im nur ständig wiederholten Vollzug entsprechender Handlungen endet.

Sein freier und beweglicher Umgang mit seinem eigenen, tief begründeten Glauben wie auch mit dem Glauben anderer zeugt von großer Fähigkeit zur Selbstbetrachtung und zur Selbstkritik, vor allem aber von der Fähigkeit, durch wandelnde Lebendigkeit gerade mitten im Glauben sich in diesem Glauben immer wieder selbst gewachsen zu finden.

Auf diese Weise schlägt Kolb all jenen eine Brücke, denen auf einer Suche nach der einen, einzig richtigen Form und Art des Glaubens die Geduld und die Hoffnung drohen auszugehen. Denn die eine, einzig wahrhaft richtige und nicht bezweifelbare, vollkommene Form des Glaubens, des Betens und des gläubigen Lebens findet letztlich jeder nur in sich selbst auf seinem eigenen Weg.

Kolb selbst gibt im folgenden Zitat einen wertvollen Hinweis für die Quelle seiner Einsichten und den Ursprung seines Glaubens zugleich:

„So viel die Wahrheit in mir zur Wahrheit geworden ist,
so viel kann sie durch mich wirken.“
1)


Gerade durch das hier formulierte „in mir“ - seinen freien und erlebten Zugang zur Wahrheit und ebenso auch zu seinem Glauben über das bei ihm ständig wache Sehen, Fühlen und Denken hat Kolb genau diesen Weg des Erkennens seinen Anhängern gepredigt wie auch vorgelebt.

Denn in seinem Glauben führte ihn genau dies zu einem feinfühligen Erkennen und Erleben der einen wirkenden Kraft beim Segnen und Beten, vor allem aber zur tatsächlichen Wahrnehmung göttlicher Gegenwart als Gegenwart des unendlichen Einen mitten im eigenen endlichen Leben - als ein in Gänze um uns Alle weilendes Sein.

Wahrheit ist immer zeitlos

Mir gilt Kolbs Weg eines klaren und bildhaften Sehens mit Offenheit zu ständig neuer Betrachtung und Hinterfragung als ein grundsätzlich gutes Weg der Erkenntnis und Einsicht, daher lag mir bei der Zusammenstellung der vorliegenden Zitate daran, vor allem diesen Aspekt hervorzuheben.

Den konkreten Entschluss, seine Texte zusammenzustellen und mit Bildern meiner Kunst in einem Buch einander begegnend zu begleiten, habe ich vor allem deshalb getroffen, weil ich der Meinung bin, dass viele Gedanken Kolbs zeitlos wertvoll sind. Wenn er als ein Dorfschullehrer bereits vor 150 Jahren zu Worten wie diesen fand:

„Der Hunger des Menschen
ist unersättlich“


„Eine eigentliche Sucht ist es unter den Menschen,
wohlfeil einzukaufen.
Dadurch wird der Segen verbannt.“


„Der Weltgeist saugt euch,
wie die Spinne den Mücken,
das Hirn aus“


, dann kann man angesichts dem, was sich nach seinem Wirken im Zeitgeschehen vollzogen hat (und auch weiter vollzieht), den Grad seiner weisen Voraussicht nur bewundern.

Durch Immanuel Kolb habe ich verstanden, dass der Glaube nur die eine Sicherheit geben kann, auf die man dann aber auch vertrauen kann:

Dass man genau hier immer finden wird, solange man Suchender bleibt.2)


© Ralf Rabemann

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1) (Apg 17,28)
2) „auf dass Gott in der Seele geboren werde, und die Seele wiederum in Gott“ (Meister Eckhart)
texte/veroeffentlichungen/kolb-immanuel/nachwort.txt · Zuletzt geändert: 2022/04/16 00:58 von rabemann
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