Mensch


Wenn Dir
der Geist fehlt,
so nützt dich
alle Erkenntnis nichts.



Der Weg,
nach und nach
zur Festigkeit zu kommen,
geht durch lauter
Erkenntnis
der Unfestigkeit.
Und so ist es auch
bei allen
übrigen Tugenden.



Wir haben uns
besonders in unserer Zeit
vor zwei Hauptversuchungen
zu hüten:


Vor dem Groß-sein-wollen …


…Die andere Hauptversuchung
ist die gänzliche
Verzagtheit,
da es in uns heißt:


Es wird
doch nichts aus dir.


Beides ist
Unlauterkeit.



Das Zuviel-
und Zuwenighalten
von sich
und von dem,
was man tut,
kommt aus einem Häfelein,
nämlich aus
dem Hochmut.
Weil man
nicht das ist,
was man gerne wäre,
so will man
lieber gar nichts.



Von der Natur
ist der Mensch
mit seinen Gedanken
gerade wie
ein ausgeschütteter Sack
voll Flaumfedern:
Sie fliegen
überall hin,
wo sie
der Wind
hin treibt1)).



Wie der Mensch
eine äußerliche Gestalt hat,
so hat er auch
eine innerliche2).



Der Adel des Menschen
ist viel zu groß,
als dass er
im Geistlichen
oder Natürlichen
an Kleinigkeiten
hängen bleiben sollte3).



Man muss werden
wie die Sonne.
Wenn an derselben
auch ein Kaminfeger
vorbeigeht,
wird sie doch
nicht schwarz 4).



Du bist
das kleine Hundle gewesen,
und solange größere
um dich waren,
hast du nicht
bellen dürfen.



Wenn wir nur
einen guten Gedanken haben,
so werden wir gleich
eines Haupts länger als andere
und denken:
Einen solchen Gedanken
hat noch niemand gehabt.



Unlauter ist es,
wenn zum Beispiel
einer denkt:
Jetzt will ich
da und da hingehen
und recht reden.



Was man zuerst übertreibt,
das treibt man nachher zu wenig5).



Wer sich beherrscht,
braucht sonst nichts mehr
zum Beherrschen:
Er hat genug an sich,
der Kaiser von Russland
hat kein so großes Reich6).



Das Gewissen
ist gut,
das scharf ist
wie man auch
ein scharfes Messer
ein gutes heißt.
Aber wie dieses,
so kann auch
das Gewissen
abgestumpft werden,
wenn man demselben
untreu ist
und ihm
nicht folgt7).



Manche haben
ein Gewissen
wie der Rücken
eines Messers,
nicht wie
dessen Schneide.
Und diese werden
nach und nach
so ungefühlig
als ein Reibeisen
und gleichen einem
Drehörgelchen,
das immer
seine gewissen
Stücklein macht8).



© Ralf Rabemann

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1) „Der Mensch gleicht einem Ball auf der Wasseroberfläche, den der Wind treibt, bald hierhin, bald dorthin.“ (Schopenhauer in „Die Welt als Wille und Vorstellung“
2) „Ich bin nicht mein Körper, sondern ich habe einen Körper. Ich bin eine denkende Substanz, eine Seele.“ (René Descartes, Meditation 2)
3) (2Kor 3,18)
4) (Apg 17,28)
5) „Nur durch die Mitte zwischen beiden Extremen kann die Wahrheit gefunden werden.“ (Kant in „Kritik der reinen Vernunft“ Teil 2, Kapitel 2)
6) „Das höchste Gut besteht darin, die Herrschaft über sich selbst zu erlangen.“ (Seneca in „Vom glückseligen Leben“, Kapitel 5 )
7) Rouseau betont in seinem Werk „Emile oder Über die Erziehung“ die Bedeutung des Gewissens für die moralische Entwicklung des Menschen
8) Epiktet schreibt in „Encheiridion“, dass es wichtig ist, auf sein Gewissen zu hören.
texte/veroeffentlichungen/kolb-immanuel/mensch.txt · Zuletzt geändert: 2023/03/24 02:48 von rabemann
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