Schicksal
Das Wesen des Schicksals erschließt sich, wenn man sich verdeutlicht, dass Schicksal und Partner im Märchen Synonyme sind. Deshalb kann man das einen begleitende und zugleich gegenüber stehende Schicksal wie einen Partner sehen, durch dessen Sein einem ständiger Ausgleich widerfährt.
Und zwar als begrenzenden Ausgleich für alles, was man nicht ist, was man nicht sein kann und was man daher auch nicht sein sollte, so dass man durch dessen Sein nicht sein und leben kann, was man nicht ist, indem es einen da verhindert, wo man sich in ein ungeeignetes Sein oder Tun oder in ungeignete Zugehörigkeit oder zu einer ungeigneten Örtlichkeit verirrt.
Und es widerfährt einem durch dieses auch ergänzender Ausgleich zum ureigensten Sein, indem es Begegnung und Gelegenheit gibt mit den Erfahrungen an Wandlung, Verlust und Zugewinn wie auch mit den diese Erfahrungen begleitenden Hinweisen zu dem, wie und worin man ist und wie und wo man wird und wo nicht und woran es noch fehlt zur ganzen Ausbildung des eigenen, seienden oder erfahrenen Seins.
Beides Wirken - nicht nur das als Ergänzung empfundene, sondern auch das beschränkende - ist letztlich als ergänzender Ausgleich im wahrsten Sinne des Wortes zu verstehen, nämlich als genau der Ausgleich, der dem eigenen Sein, welches ja ein Teil des Ganzen ist, fehlt an ergänzendem Ausgleich zu diesem.
So wäre also Schicksal zu sehen als der auf das einzelne Leben bezogene restliche Teil des Ganzen, der aus genau dieser Teilung weg vom Ganzen her wirkende „Rest vom Ganzen“-Teil des Ganzen, der sein Wirken bezieht aus genau seinem „Der-andere-Teil-des-Ganzen-Sein“ ohne den Teil des eigenen Seins – eben dem nur noch teilweise ganz seienden Ganzen, der letztlich nur illusionär erlebt wird als ein eigenes Ganzes.
Dies gilt sowohl im Sinne der Ergänzung, indem das Schicksal hinzu bringt, was wir an uns Zugehörigem verloren oder verdrängt haben als auch im Sinne der Begrenzung, indem das Schicksal das von uns nimmt, was wir uns an einem zuviel genommen oder angemaßt haben.So ist hinter dem Horizont unserer Wahrnehmung stets ein Zweites, welches neben dem aktiv gelebtem auch das passiv erlebte einschließt und das uns alle innerhalb des großen Ganzen auf gleiche Größe bringt – nämlich die des Ganzen.
Und so bunt und bewegt das Leben da oder dort auch scheinen mag - nur in genau diesen Grenzen kann sich das eines jeden Leben entfalten, dass man sowohl in sich das zulässt, was man zu leben hat, als auch das nicht lebt, was man dazu im Gegenüber braucht, damit sich auch dieses passend und auch notwendig zum eigenen Sein in seiner ganzen Größe entfalte - indem man also sein Gegenüber derart lässt, dass man es auch in seiner ihm aus unserem Sein möglichen und deshalb auch nötigen Größe als ein solches habe.
Nur so wird und bleibt es als scheinbares Gleichgewicht, in Wahrheit jedoch als Boden und Wirkkraft des eigenen, sich genau daran zu entfaltenden Seins, denn nur so gedeiht es einem als heilvoll ergänzendes Gegenüber – und zusammen mit diesem zum Gleichnis wie auch zum tatsächlichen Bild des Ganzen wie auch zusammen mit diesem zum wahren ganzen, aller Sein.
© Ralf Rabemann