Der Wald und der Baum
Ein Wald ist nicht da, wo ein einzelner Baum dieses Waldes in ihm aufhört, einzelner Baum zu sein und auch nicht da, wo das Sein eines einzelnen Baumes beginnt, genauso zu sein wie das Sein anderer Bäume, die auch Teil des Seins dieses Waldes sind.
Der Wald ist da, wo jeder Baum sowohl ganz er selbst ist wie zugleich auch mehr ist als das, was er aus sich selbst heraus ist, wenn er nur er selbst ist.
Als Teil des Waldes ist ein Baum er selbst, indem er diesem Wald als einem, der alles beinhaltet, was nicht dieser Baum ist, durch sein Ganz-er-Selbst-Sein so sehr das Ergänzende all dessen ist, was diesem Wald als Nicht-dieser-Baum-Seiendem fehlt zu dessen Ganzen, wie auch dieser einzelne Baum seine Blätter und alles andere, was Teil seines eigenen Selbst ist, an und in sich sowohl zulässt wie auch erfordert zu seinem eigenen Ganzen.
Dabei hat der Baum seine Ganzheit, um sowohl als Baum ganz er selbst zu sein wie auch dazu, um als Baum der dem Wald zukommende ganze Teil zu dessen Ganzheit als Wald zu sein. Somit ist er dem Wald nicht nur blosser Teil dessen Selbst, sondern in seinem Teilsein vom Ganzen als pars pro toti auch ein analoges, den Wald in seiner Ganzheit spiegelndes Synonym, womit sich der Baum als Teil dieses Waldes zugleich auf sich selbst reflektiert. Somit steht der Baum sowohl für die Ganzheit seines Selbst wie auch für die Ganzheit des Waldes und zugleich für sein Sein in diesem Wald und zuletzt auch für das Sein in diesem Wald als Bild in ihm von der Ganzheit des Waldes und dem Sein des Baumes in diesen Ganzen.
So erfährt der Baum zu seinem Ganz-er-selbst-Sein durch sein Dem-Wald-als-Ganzen-ein-ganzer-Teil-Sein das hinzu, was an seinem eigenen Sein als Baum an Angehörigkeit seinem Wald zugeordnet, bedingt oder erforderlich ist.
Dieses setzt sich zusammen zum einen aus dem Ganz-nur-Teil-eines-anderen-Sein, wo der Baum im Wald als einer der Bäume dieses Waldes ein Sein hat als Teil dieses Waldes wie auch in seinem Sein als einer all dieser Bäume. Zum anderen kommt hinzu ein Ganz-er-Selbst-in-einem-anderen-Sein, also ein Sein als einzelner Baum innerhalb seines Seins als Baum des Waldes, wozu auch das „Sein inter pares“, also sein einzelnes Sein innerhalb des Seins unter vielen gleichen zählt.
Nun ist der ebenso, wie er im Wald weniger ist als ein freistehender Baum, dem im Gegensatz zu ihm das ihn begrenzende Sein von ihn Umstehenden als Grenze nicht ständig gegenwärtig ist, auf andere Weise in seinem Wald mehr Baum als ein anderer Baum, der nicht Teil seines Waldes ist. Dies ist er, weil zugleich umgekehrt auch er durch sein Sein den ihn umstehenden Bäumen Begrenzung ist und er im Wald genau dort steht, woher er stammt und von dort her sowohl seine eigene, individuelle Gestalt bezogen hat wie auch eine seiner Art entsprechende Gestalt als ein Baum der vielen seiner Art.
So kann er ebenda mehr Baum sein als ein anderer, indem er gerade an einem Standort, wo er zunächst eher Wald zu sein scheint als ein Baum, mehr ist als dies, indem er gerade an einem Ort, wo er scheinbar aus seinem eigenen Sein heraus weniger sein kann, mehr ist, als er sein müßte - also, indem er als Baum ein über dieses Baum-in-seinem-Wald-Sein sein Sein als einzelner als ein darüber hinausgehendes Sein hat, während der keinem Wald zugehörige Baum in seinem Sein immer nur genau der Baum ist, der er als einzelner aus sich heraus ist.
© Ralf Rabemann
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